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Sehr geehrter Herr Lindner,

ich schreibe Ihnen heute offen, um Ihnen meine große Sorge über die Zukunft unserer Partei mitzuteilen.

Bereits seit Ihrer Zeit als Generalsekretär der FDP prägen Sie den Begriff des „mitfühlenden Liberalismus“. Immer wieder senden Sie seither öffentlich das Signal, die FDP müsse weniger staatskritisch, sozialer, umsorgender, irgendwie einfühlsamer werden. Nun weiß ich, dass auch Sie keinen Wandel unserer Partei hin zu einer weiteren sozialdemokratischen Kraft anstreben. Doch die Signale, die Sie an unsere früheren Wähler damit senden, entschärfen unser einst so klares Profi endgültig.

Wie tausende Mittelständler, Freiberufler und Facharbeiter bin ich seinerzeit zu einer Anhängerin der FDP geworden, weil sie als einzige Partei dem allumsorgenden Staat in Deutschland den Kampf ansagte. Sie war die einzige Kraft im Land, die noch das wohl verdiente Einkommen der arbeitenden Bevölkerung vor der Gier des Fiskus verteidigte. Sie war die einzige mutige Kraft im Land, die von Empfängern staatlicher Sozialleistungen auch Eigenverantwortung abverlangte. Sie war die einzige Partei, die einem immer mächtigeren Staat in die Schranken wies und seinen Anhängern die Leviten las.
Fast 15% der Deutschen haben diesen Kurs der FDP bei der Bundestagswahl 2009 bestätigt. Warum? Weil sie alle etwas gemein hatten: Die Schnauze voll von einem Staat, der sich zum Herr über ihr Leben und Vermögen aufschwingt.

Diese Menschen, Herr Lindner, erwarten von der FDP keinen mitfühlenden Liberalismus, sondern wollen von uns ihre Freiheit als Bürger, Unternehmer, Arbeiter oder Steuerzahler gegenüber einer dreisten Regierung verteidigt sehen.

Diese Menschen erwarten von der FDP keine Leitbild-Debatten über Freiheit, sondern eine laute Stimme gegenüber einer Regierung, die sie ihnen tagtäglich nimmt.

Diese Menschen erwarten kein intellektuelles, staatstragendes Auftreten, sondern Frauen und Männer, die ihre Sprache sprechen.

All das, was diese Leute von uns erwarten, bietet Ihnen die FDP derzeit nicht. Wir sind leise und fast schon diplomatisch in unserer Kritik an der Regierung. Wir beziehen keine mutigen, aneckenden, kontroversen Meinungen mehr. Und wir geben mit Ihrer Strategie des „mitfühlenden Liberalismus“ unseren früheren Wählern auch noch das Gefühl, dass wir nicht mehr selbstbewusst zu unseren Werten stehen und nun das gleiche Lied wie alle linken Parteien singen.

Sie tragen nicht die Verantwortung dafür, dass die FDP in diese schwere, selbstverschuldete Krise geraten ist. Doch Sie tragen dafür Verantwortung, dass unsere früheren Wähler nicht weiterhin zu Hause bleiben oder sich von einer aufstrebenden AfD künftig besser angesprochen fühlen.

Es grüßt Sie,
Jutta Herzner-Tomei